Er baute das Jüdische Museum in Berlin, das Imperial War Museum in Manchester, das Hochhaus Zlota in Warschau, die Leuphania Universität Lüneburg, das Militärhistorische Museum Dresden und den Kö-Bogen in Düsseldorf. Er entwarf den Master-Plan für das One World Trade Center auf dem Ground Zero in New York. Er gestaltete Bühnenbild und Kostüme für Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“ am Saarländischen Staatstheater und verwandelte Frankfurt in ein Musiklabor. In Toulouse wird sein reich begrünter Occitaine Tower und in Nizza das Hilton Garden in Form eines Diamanten entstehen. Der in New York lebende Daniel Libeskind ist nicht nur als Architekt ein Magier der Emotionen. Er gilt als der Philosoph unter den Architekten und als einer der wichtigsten Wegbereiter des Dekonstruktivismus, der die Postmoderne ablöste. Am 12. Mai 2021 wird er 75 Jahre alt.
„Eine Partitur und eine architektonische Skizze“ – so Libeskind – „sind dasselbe. Beide, Musik und Architektur, basieren auf einem kodierten Kommunikationssystem: Musiknotation oder ein architektonischer Entwurf oder ein Masterplan, beide müssen höchst präzise sein und beide, sowohl die Aufführung als auch die Konstruktion verlangen spezifische interpretatorische Fähigkeiten. Die mathematische und geometrische Präzision der Musik und der Architektur rufen emotionale Reaktionen hervor. Ich finde die Art wie Musik und Architektur entstehen fast identisch. Mein Ground-Zero-Masterplan zum Beispiel, eine Serie sehr präziser Zeichnungen, gleicht in jeder Hinsicht einer Partitur. Ich bin kein Geiger, Cellist oder Schlagzeuger – ich bin viel mehr der Komponist oder der Dirigent, der nicht in Erscheinung tritt. Mein Orchester sind die Architekten und Bauingenieure. Sie interpretieren meine Zeichnungen innerhalb bestimmter Freiheiten, die ich ihnen gebe. Sonst wäre der Bau ein lebloser mechanischer Prozess. Musik und Architektur sind für mich das gleiche. Musik stellt eine Struktur in Klang und Zeit dar und Architektur eine Struktur in Raum und Zeit. Ich betrachte sie wirklich als die gleiche Art von Schwingungen: Wenn ich einen Stift auf das Papier drücke, ist das wie eine Taste auf dem Klavier niederzudrücken.“
1983 entsteht eine Serie von Zeichnungen, die wie keine andere die Verschmelzung architek-tonischer und musikalischer Strukturprinzipien in Libeskinds Werk verdeutlicht und die seine Arbeit bis heute prägen. Die „Chamber Works“ entstanden in den Jahren als Libeskind den Lehrstuhl für Architektur an der Cranbrook Academy of Art in Bloomfield Hills Michigan leitete. „Ausgangspunkt dieser Zeichnungen war“ – so Liebeskind – „die Beziehung zwischen Musik und Architektur“. Noch nie wurde der Versuch unternommen, diese Zeichnungen, die aussehen wir Partituren, in einem der Gebäude Libeskinds, zum Klingen zu bringen.
Erstmals wagt Daniel Libeskind – der Spätzünder aus der Bronx, der ursprünglich vor hatte Musik zu studieren, sich dann aber anders entschloss um Architekt zu werden – in dieser biografischen Dokumentation ein Experiment. Die Parallelen, die er zwischen Musik und Architektur zieht, sollen erstmals auf den Prüfstand gelangen. Der Pianist Benyamin Nuss, Opus Klassik Preisträger 2019 und Daniel Libeskind wagen den Versuch, die „Chamber Works“ aus dem Jahr 1983 wie eine Partitur zu lesen und sie improvisierend in gleichsam klingende Architekturen zu verwandeln. Im Prototyp von Libeskinds erstem Einfamilienhaus, das wie ein aus dem Boden gewachsener Kristall wirkt, werden der Pianist und der ehemalige Akkordeonspieler aus der New Yorker East Side Soundbeziehungen zwischen der realen Architektur und dem Sound der Chamber Works herstellen.
Eingebettet in die Biografie des Ausnahmearchitekten Daniel Libeskind blickt der Film anlässlich seines fünfundsiebzigsten Geburtstages hinter die schillernden Kulisse der glanzvollen, mal kantigen, mal geschwungenen und vielfältig gebrochenen Fassaden seiner Gebäude. Die künstlerisch den Architekturen entsprechend geführte Kamera gibt den Blick frei auf ihre Ursprünge und Wirkungen. Ursprünge und Wirkungen, die sich nur dann erschließen, wenn man – wie Libeskind selbst sagt – erkennt, wie musikalisch sie konzipiert sind. Parallel zu der Entstehung der ersten musikalischen Umsetzung der Skizzenserie „Chamber Works“ geht der Film im für seine Karriere wichtigsten Bauwerk, dem Jüdischen Museum in Berlin, den ästhetischen und künstlerischen Wurzeln des Architekten und der Seele seiner Bauten auf den Grund. Hier treffen wir die Architekturphilosophin Lidia Gasperoni, die Libeskinds Philosophie des Entwerfens und Bauens und seine Auseinandersetzung mit Geschichte, Literatur und Musik erforscht hat. Anhand von Libeskinds oft kolorierten Skizzen erläutert sie die Entstehungsprozesse seiner wichtigsten Bauten und Masterpläne, wie etwa den des One World Center New York.
In Berlin erzählt Thomas Willemeit, Architekt und bis 2001 im Team des Studio Libeskind, am Beispiel der herausragenden, nach dem Jüdischen Museum entstandenen Bauten, wie sich der Stil des Architekten bis heute weiterentwickelt hat.Von der Architekturphilosophin Lidia Gasperoni erfahren wir warum Libeskinds Entwürfe eigenständige Kunstwerke sind, wie sie in Relation zu seinen Gebäuden stehen und was die dekonstruktivistische Fassade des Kö-Bogens in Düsseldorf mit der Erzählung „Der Kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry zu tun hat. Die Architekturhistorikerin Eva Maria Froschauer ordnet Libsekind und seine Bauten in die Architekturgeschichte ein.
Last not least erzählt Daniel Libeskind im Interview, das wir in seinem Studio in New York aufzeichnen, wie er vom musikalischen Wunderkind, das in der Bronx aufwuchs, zum Wegbereiter des architektonischen Dekonstruktivismus und Schöpfer des Masterplans für das One World Center New York wurde und warum Geschichte, Philosophie und Musik in all seinen Entwürfen eine so wichtige Rolle spielen.